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Dritte Wahl - Geblitzdingst
Weitere Informationen:
http://www.dritte-wahl.de/
In der leidgeplagten Menschheitsgeschichte, die von Hass, Hunger, Kriegen und Tragödien gezeichnet ist, gibt es wohl nichts, was Befürchtungen und Hoffnungen so sehr in sich vereint, wie ein neues Album einer liebgewonnenen Band. So erging es auch mir, als mir letzte Woche wirklich bewusst wurde, dass das Album „Geblitzdingst“ bald erscheinen wird…und irgendwie kommt mir die Situation mächtig bekannt vor. Hatte ich das nicht schon einmal?
Achja, stimmt: Mit ihrer vorherigen Platte „Gib Acht!“ (Das gibt es hier nachzulesen) haben Dritte Wahl - entgegen all meiner Befürchtungen - einen fetten Paukenschlag gesetzt, der die oben beschriebene Angst in Windeseile zerstreut hat. Ganze 9 von 10 Punkten war ich bereit, den Rostockern für ihr sehr gelungenes Album zu geben. Doch nun, fast 4 Jahre später, hält das altbekannte Gefühl wieder Einzug und lässt mich gespannt den Silberling horchen…
Noch bevor sich die CD zu drehen beginnt, werfe ich noch einen genaueren Blick auf die schmucke Verpackung, die komplett in Silber gehalten ist. Mit rot-orange-schwarzen Tönen prangen die Worte „Dritte Wahl“ und eine seltsame Gestalt mit einer kleinen Apparatur, die sehr stark an „Men in Black“ erinnert, auf dem Cover. Beim Aufklappen offenbaren sich mir eine Schafherde und der Refrain des namensgebenden Liedes „Geblitzdingst“: „Das war halb so schwer, wenn ich geblitzdingst wär“. Das ist wohl wieder eine kleine, aber feine Anspielung auf das, was mich in den nächsten 51 Minuten wohl erwarten wird: Punkrock mit gewohnt guten Texten! Doch nun genug von den Bildern, nun geht es um die Wurst…
…oder besser gesagt um die Musik:
Noch bevor die ersten Takte vorbeirauschen, stellt sich wieder ein wohliges und bekanntes Gefühl ein: Dritte Wahl sind wieder da! Die markante Stimme von Gunnar treibt den ersten Song „Der Spiegel“ vor sich her und fesselt mich von Anfang an. Besonders schön finde ich – und das freut mich sehr, sehe ich mich in meiner Hoffnung von vor ein paar Sekunden doch bestätigt – die textliche Ausarbeitung, die mich nicht nur persönlich trifft und mitnimmt, sondern sich auch für sich allein stehend ganz stark klingen:
„Bist du glücklich, bist du glücklich, frag ich dich! / Kaum sage ich ja, sagt er „Ich bin es aber nicht“/ Bist du glücklich, bist du glücklich oder nicht?/ Leichter wäre es, wärst du ein bisschen mehr wie ich“.
Sehr schön, bedenkt man, dass man gerade mit seinem Spiegelbild spricht…
Noch bevor ich den ersten Song verarbeiten kann, geht der nächste schon los:
„Geblitzdingst“ fängt sofort an und lässt mich durch den interessanten Takt aufhorchen. Sofort beginne ich eine Lust zu verspüren, das Tanzbein zu schwingen. Nahtlos geht es in den Strophen weiter, die einen klitzekleinen Hauch von Sprachgesang mit sich bringen und vom größten Massenmörder in Sachen Gehirnzellen handeln: Das Fernsehen. Nichts los, alle weg, Langeweile in den eigenen vier Wänden: Warum also nicht die Glotze an?
Ein tolles Lied, das viel Spaß macht und eine angestaubte Thematik nochmal interessant aufarbeitet.
„Stillstehen“ hingegen katapultiert einen sofort ein paar Jahrzehnte zurück und bestätigt das seltsame Gefühl, das sich angebahnt hat. Ein Blick auf die Bandmitglieder verschafft Klarheit: Zu Gunnar (Gitarre), Stefan (Bass) und Krel (Schlagzeug) gesellt sich nun auch Dietmar dazu, der das Piano bedient. Wer in den letzten Jahren die Rostocker live sehen durfte, wird wohl auch diesen als „Dietmar“ bekannten Menschen gesehen haben, der viele Songs auch live begleitet hat (z.B. „Wo ist mein Preis?“).
Hier zeigen sich Dritte Wahl wieder experimentierfreudig: Mit elektrischen Effekten (ob nun harmonische Klänge oder perkussive, rhythmische Klänge) beginnt die Band ihre Lieder sehr vielseitig zu erweitern, das ein eigenes Zuhören zwangsläufig erfordert. Dazu ist die Bandbreite der genutzten Effekte einfach zu groß und zu unbeschreiblich.
Was jedoch klar ist: „Stillstehen“ ist ein schönes, leicht poppiges Liebeslied und ist aktuell auch eines meiner Favoriten. Starkes Stück!
Wer hingegen keine Lust auf Sehnsucht, Herzschmerz oder Melancholie hat, der tut sich „F.D.S.“ an, welches wohl eines der einzigartigsten Lieder dieser Band. Der typische Punkrock-Klang wird tatsächlich mit Geschrei untermalt, wo Gunnar seine ganze schlechte Laune ablädt. Das ist besonders unter dem Standpunkt ganz interessant, weil die Band für Geschrei eher weniger bekannt ist. Was der Frontmann aber trotz seines Alters noch gesanglich gebacken bekommt, ist beeindruckend. Hübsch:
„Die Milch ist schlecht, der Kaffe aus, kein sauberes Besteck / Und auf dem Klo bricht mir der Bleistift beim Sudoku weg“
Ein sehr schöner Titel, der einem die ganze Scheisse gerne abnimmt, wenn man selbst „Fick den Scheiss!!“ (wofür das „F.D.S. steht) rumbrüllt. Besonders gefallen hat mir das Geschrei, nachdem eine eingespielte Entspannungsmelodie brutal unterbrochen wurde und mit den Worten „Ich will mich nicht beruhigen!“ kommentiert wird. Hier zeigt sich eine großartige Kombination aus schlechter Laune und einer kleinen Prise Humor.
Im weiteren Verlauf kristallisieren sich immer mehr schöne Songs heraus:
Beispielsweise „Zu wahr, um schön zu sein“, was ein wenig nach Country klingt und unter anderem mit dem Banjo begleitet wird. Auch der Text weiß hier nicht zu enttäuschen und lässt mich immer wieder gern mit dem Fuß wippen. Später wird das Lied sogar sehr gut tanzbar, wenn das Schlagzeug mit einsetzt. Stelle ich mir vor allem live sehr geil vor!
„Teufel und Dämonen“ hingegen rollen mit der alten Parole „Es ist Krieg!“ an und gehen schnurstracks geradeaus. Fixes Tempo, ein paar Anleihen aus dem Metal-Bereich und ein paar gute Textpassagen tragen den Song geradewegs in alle Regionen des Hirns. Auch hier erkenne ich ein wahnsinnig großes Live-Potenzial.
So schön und so aufregend der Anfang des Albums auch war, gegen Ende macht sich ein wenig Ernüchterung breit. Gerade vom Song „Was weiss ich schon von der Liebe“ habe ich mir ein wenig mehr versprochen. An und für sich zwar Reinfall, aber irgendwie sorgen die musikalische Ausarbeitung und der Frauen- und Männerchor im Refrain dafür, als ob das ein Ballermann-Hit werden könnte. Hilfe! Kann natürlich auch Einbildung sein, aber irgendwie gibt mir der Song ziemlich wenig…schade eigentlich, habe ich doch beim Titel eine schöne Ballade erwartet. Aber wenigstens ist der kurze Orgeleinsatz am Ende des Liedes ganz nett…
Deutlich weniger schlimm, aber dennoch relativ unauffällig sind „Immer auf der Reise“ oder „Noch einmal“, die zwar textlich (so wie immer, eigentlich) schön ausgearbeitet sind und einen oft nickend zustimmen lassen, aber in ihrer Gesamtheit doch sehr verhalten sind. Wenn sie nebenbei laufen ist es okay, aber mehr auch nicht. Wirklich bewusst laufen lassen würde ich keines von beiden.
Wieder ein wenig besser zeigen sich dabei „Eure Zukunft“ und „Sirenen“, die textlich gleichauf sind, aber musikalisch bedeutend besser und interessanter ausgearbeitet sind. Vor allem auch, weil gerade bei „Sirenen“ das Piano mit ein paar schönen Effekten auftritt und eine tolle Atmosphäre schaffen.
Was bleibt am Ende noch zu sagen?
„Geblitzdingst“ reiht sich gut in die Diskographie der Band ein und erweitert das musikalische Repertoire in Form vieler interessanter Songs, die viel Altes wiedererkennen und doch Neues hinein lassen. Gerade die erste Hälfte des Albums zeigt sich bärenstark und läuft quasi in einer Dauerschleife. Die andere Hälfte hingegen ist nicht uninteressant und alles andere als „schlecht“, aber ist lange nicht so fesselnd wie die ersten Songs noch. Natürlich sind aber auch hier viele textliche Schätze vergraben, die darauf warten, gehoben zu werden…selbst im Ballermann-Hit „Was weiss ich schon von der Liebe“.
Unterm Strich bin ich froh, dass das Trio (Was ja nun ein Quartett ist) aus dem Norden wieder einmal gezeigt hat, dass man sich verändern und weiterentwickeln kann, ohne dabei seine Ideale oder Kernaspekte zu verlieren. „Geblitzdingst“ kann also jedem Fan getrost ans Herz gelegt werden…und natürlich auch denen, die guter Rockmusik nicht abgeneigt sind.
In dem Sinne: Ich freue mich sehr!
Geschrieben von ChaosZx2 am 31.01.2015, 14:11 Uhr
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