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Dritte Wahl - Gib Acht!

Dritte Wahl - Gib Acht!

CD Dritte Wahl Records 05.11.2010
  9 / 10

Weitere Informationen:
http://www.dritte-wahl.de/


Gebt Acht, sonst wird hier was verpasst!

Gut, es gibt bessere Einleitungen und Wortspiele, aber ich wollte es auf einen Versuch ankommen lassen den Albumtitel mit Humor und Grazie hier einzufügen…was sich wie immer als Fehlentscheidung gerausgestellt hat. Aber egal, ich werde einfach unauffällig zum Wesentlichen kommen und euch in eurem verwirrten Trauma lassen:

Nach gut 25 Jahren Bandbestehen und zirka dreizehn herausgebrachten Platten schaffen es die drei Rostocker immer wieder noch einen draufzusetzen. Mit „Gib Acht!“ kommt nun das vierzehnte Kind auf die Welt, welches die Wahle in schweißtreibender Arbeit im Proberaum zusammengespielt haben und für die mittlerweile sehr ansehnliche Fanmasse zugänglich machen. Frohlocket!

Das Album präsentiert sich im typischen Stil von „Dritte Wahl“. Intelligente Texte, harte Töne, Selbsttreue und Experimentierfreudigkeit. Die Balance hat mal wieder voll ins Schwarze getroffen und schöpft die ganzen Aspekte voll aus. Dass man aber dadurch kein Album erwarten darf, was durchgehend „Krach“ und „Bumm“ macht, wie beispielsweise die „Nimm Drei“, sollte wohl klar sein. Sonst ginge ja die Experimentierfreudigkeit ordentlich flöten. Man kann dafür auf jeden Fall Abwechslung in Aussicht stellen.

Ich weiß nicht warum, aber irgendwie erinnert mich das Album am Anfang immer an „Strahlen“. Ein sehr solider Einstieg leitet das Album ein, welches im nachfolgenden Lied mit einem Ska-Lied begleitet wird. Ob das eine Verschwörung ist? Oder doch mehr Zufall? Eine gute Frage! Aber unwesentlich.
Das Album beginnt mit dem namensgebenden Lied „Gib Acht!“ und lässt einen nochmal auf das Cover schielen.  Auf diesem sind Gunnar, Stefan und Krel im Aufzug (?) zu sehen und werden durch eine Kamera beobachtet. Auch das Lied handelt von „Vorsicht“, „Überwachung“ und der heutigen Informations- und Konsumgesellschaft. Das Lied hat die richtige Geschwindigkeit und fängt den Rostock-Stil sehr gut ein. Die Scheibe weiß sofort einzuladen und alte Fans wieder zu fesseln. 
 Die Welt von "Gib Acht!" hat eine große Stärke, die „Dritte Wahl“ für sich entdeckt hat und auch klug auszuspielen versteht: Vielfalt. Auf dem 15-Track starken Silberling hat jedes Lied seinen Wiedererkennungswert und wirkt auch sehr souverän. Man merkt, dass die Liebe wirklich im Detail gesteckt hat. Ich merke auch an dieser Stelle, dass mir eine Kategorisierung wirklich schwer fällt, in denen ich die Lieder einteilen kann. In dem Zusammenhang stellt mir die Vielfalt also ein Bein.
Wo Lieder wie „Keine Angst“ von Individualismus und der inneren Kraft handelt, alles schaffen zu können, so beschreibt „Aufhör’n kann ich gut“ die eigene Ohnmacht im Bezug auf Dinge, die man sich vornimmt und dennoch nicht gebacken bekommt. Stilistisch gesehen sind beide Lieder jedoch härter ausgelegt und sorgen für den nötigen Pfeffer im Hintern. Oder für Hummeln im Hintern. Oder auch beides…
„Alles wird gut“ ist ein – zumindest vom musikalischen Standpunkt aus betrachtet – typischer „Dritte-Wahl-Song“. Kompromisslos, schnell, textlich überzeugend und sicherlich sehr gut für Pogo und diverse Wunden geeignet. Trotz allem hat der Refrain ein bisschen etwas positives und aufbauendes: „Alles wird gut“. Ähnlich verhält es sich dabei mit dem Lied "Wo ist mein Preis?", wobei hier eher eine "Ich-habe-nun-x-Male-schon-angerufen-und-warte-immernoch"-Mentalität geschaffen wird. Trotz allem ein klasse Stück um sich alle Sorgen und Gedanken aus dem Leib zu pogen.
„Fliegen“ und „Morgen schon weg“ haben tatsächlich eine Gemeinsamkeit miteinander: Ausbruch, Flucht und die Beendigung des elendigen Alltags-Daseins. Hier steckt der Unterschied jedoch in der musikalischen Ausarbeitung: Wo „Fliegen“ ein bisschen mehr, wie eine verzweifelte Theorie wirkt, so wirkt „Morgen schon weg“ wie ein fester und optimistischer Entschluss. Wer also eine klare Position und Gefühlswelt zu diesem Thema bezieht, der wird sehr schnell seinen Favoriten finden.
„Das sieht gut aus“ ist ein wundervoll ironisches Lied zum Thema „Klimagipfel“, der ja so schön reibungslos verlaufen ist (weil nichts dabei herauskam). Hier wird ein wenig der Humor ausgepackt und macht in diesem Sinne sogar wirklich „Spaß“ beim Zuhören. Wer also meint, dass Alter verbittert und senil macht, der...hat sicher Recht. Aber der Humor ist nicht zwangsläufig negativ betroffen.
Mit „Ich bin dafür“ haben die Rostocker wirklich ein klasse Song geschaffen, der zwar eine alte Floskel der Punkbewegung („Ich bin dagegen“) bricht, aber dennoch dasselbe aussagt. Mit textlich wirklich überzeugenden Passagen weiß der Text, wie er die Gedanken und Gefühle vieler Menschen vereinigt und verleiht dem Album einen noch stärkeren politischen Touch. Sauber!
Mit „Ich bin’s“ oder „Singles (Junge Frau zum Mitreisen gesucht)“ wird das Thema Liebe oder Beziehung aufgegriffen. Das eine ist eine richtig schöne Ballade geworden, das andere dagegen ist ein bisschen positiver ausgefallen. Wo das eine Lied von einem schleppenden Telefonanruf handelt und auch musikalisch mehr das Klavier benutzt wird, so scheint das andere eher Unternehmungslustig zu sein.
  „Alles für den Wind“ ist ein wirkliches Experiment gewesen. Neben den normalen Instrumenten werden auch Dudelsäcke gespielt, die sich gut in das Lied einfügen. Warum muss ich an dieser Stelle bitteschön an Schottland denken? Naja, das mag wohl dem Instrument zu verschulden sein. Was an diesem Lied aber leider störend ist, ist das Ende. Es wirkt durch die immer weiter steigende Geschwindigkeit ziemlich gestreckt und nervt am Ende mehr, als es für eine tatsächliche Steigerung sorgt. Aber das war am Anfang höchstens so, mittlerweile ist es ein fester Bestandteil des Liedes für mich, weil ich mir ein anderes Ende nicht mehr vorstellen kann. Und auf einem Konzert könnte es durchaus für immer schnellere Tänze sorgen.
Der letzte Song des Albums heißt „Danke“ und ist eine Hymne. Scheisse, und was für eine! Ein komisches kleines Gerät lässt elektronische Töne von sich und die Wahle beginnen daraufhin zu rocken. Dieses Lied ist allen Fans gewidmet, die auf den Konzerten für so eine wunderbare Stimmung sorgen und ihrer Band treu zur Seite stehen. Wer diesen Song durchgehend in sich verinnerlicht, der spürt die tatsächliche Atmosphäre in sich aufsteigen und wird im inneren wirklich dabei berührt. Live ist es ein absolutes Hammer-Stück und eines meiner persönlichen Höhepunkte. Dieser Track ist mit „Fliegen“ zusammen mein absoluter Favorit auf diesem Album und bildet mit diesem das atmosphärische Epizentrum.

Wer geduldig ist, kann gespannt sein: Es gibt zwei versteckte Tracks. Na gut, eigentlich ist es nur einer. Der erste ist nur eine kleine Ruhepause von 8 Minuten. Der zweite jedoch ist „Ich bin dafür“, mit dem Unterschied, dass es eine harte und rockige Version ist. Allerdings muss ich sagen, dass mir die eigentliche Version mehr gefällt, da sie wirklich den Charakter eines Liedes besitzt, den man wunderbar auf Demonstrationen spielen könnte. Aber dennoch ist das Lied auf rockig nicht zu verachten…

Da sieht man es wieder einmal: Sie haben es geschafft! Ich bekomme bei meinen Lieblingsbands immer Angst, dass sie ihren alten Ansprüchen nicht mehr gerecht werden, doch der Zweifel ist hier völlig unbegründet. Alle, die mit der Band wirklich halbwegs etwas anfangen können, können hier wirklich ohne große Bedenken zugreifen.

Das Album ist ganz sicher nicht meine dritte Wahl! Das trifft höchstens auf meine unfreiwillig traurigen Wortspiele zu.

Darum gibt es auch 9 Punkte von mir!


Geschrieben von ChaosZx2 am 09.08.2011, 00:00 Uhr


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