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TALCO


TALCO...haben die nicht erst vor ein paar Jahren in der Pizzeria “I Due Forni“ in Berlin gespielt und den großen Raum zum Kochen gebracht?

Ja, es ist schon ein paar Jahre her, aber das TALCO schon 20 Jahre dabei sind, hätte ich jetzt auch nicht gedacht. Kinder, wie die Zeit vergeht.

Wobei es TALCO, wenn man es ganz genau sieht, schon 24 Jahre gibt. Allerdings erschien das erste Album der Band im Jahr 2004 und mit diesem Album fing die Geschichte der Band erst so richtig an.

Die ersten Alben von TALCO gingen noch ein wenig an mir vorbei, aber als ich das erste Mal in das Album “Mazel Tov“ reinhörte, war es um mich geschehen. Es passiert mir echt nicht so oft, dass war Liebe auf den ersten Song. So schnell und gleichzeitig so melodiös, so mitreißend, so ein Stilmix und dazu eine Band die mindestens genauso viel Spaß auf der Bühne (oder eben in der Pizzeria) hat, wie die Menschen davor.

Live ist die Band seit Jahren eine Bank, ein Ereignis, sensationell und immer wieder absolut mitreißend.

TALCO ist aber mitnichten nur eine Band zum feiern.

TALCO, aus der unmittelbaren Umgebung von Venedig, gehen mit offenen Augen durch die Welt und beziehen ganz klar Stellung, sei es was Geflüchtete angeht, sei es die politische Situation in Italien, sei es der Umgang der Menschen untereinander und der Umgang der Menschen mit der Natur und seiner unmittelbaren Umgebung.

Nun ist TALCO also 20 Jahre alt geworden. Nach acht Studio-Alben (neun, wenn man den Ausflug in die akustische Welt unter dem Namen “Talco Maskerade“ mitzählt) kommt jetzt das zweite Live-Album der Band auf die Welt. Zum 10jährigen gab es mit dem großartigen Live-Album “Live in Iruna“ schon mal ein Live Best-Of und nun kommt in Kürze das zweite Best-Of-Album in einer Live-Version heraus.

Warum live?

Weil live immer noch am besten ist!

Bevor das neue Live-Album am 08.11.2024 erscheint, hatte ich die Möglichkeit bekommen der Band ein paar Fragen zu stellen.

Here we go.


Geschrieben von Frank am 15.10.2024, 21:06 Uhr


Teilen:                    

F: 20 Jahre TALCO. Wie fühlt sich das an?
   
Was waren für euch die Highlights seit dem Bestehen der Band?

T: Es gab viele Highlights, vielleicht war sogar jeder Moment wichtig.
    Wir haben die Reise von TALCO immer als eine Leiter gesehen, auf der  
   jede Entscheidung, jede Tour, jede Platte, jede Promotion eine zusätzliche
   Stufe gebracht hat. Für eine unabhängige Band ist es eine große
   Genugtuung zu sehen, dass diese Leiter noch viele Stufen hat, die es zu
   überwinden gilt.
   Es gibt sicherlich sehr wichtige Momente in der Geschichte von TALCO.
   Diese Momente sind z.B. unsere erste Platte “Tutti Assolti“, produziert von 
   Kob Records, dann unser Auftritt auf dem Festival “Punk Italia“ in Berlin im
   SO36 im Jahr 2005. Dann die Veröffentlichung von unseres dritten Albums
   “Mazel Tov“ im Jahr 2008.
   Nicht zu vergessen, der Wechsel zu Destiny Records und vor allem,
   beginnend mit der “Silent Town“-Tour, das Management von David HFMN.
   Das waren vielleicht die Momente, in denen wir mehr als einen Schritt nach
   dem anderen gemacht haben.

F: Ich erinnere mich noch gut an euer Konzert im Restaurant “I Due Forni“ in
   Berlin.
Welche besondere Beziehung habt Ihr zu Berlin?

T: Berlin war die erste Stadt, die uns angenommen hat und uns erlaubt hat, so
   zu sein, wie wir sind. Dort haben wir Mauro (seinerzeit Chef und Inhaber 
   des “I Due Forni“, mittlerweile betreibt Mauro die kleinere Pizzeria “Il
   Giradischi“ in der Oderberger Straße 22 in Berlin; Anmerkung des
   Verfassers
) und Franco kennengelernt, unsere Schutzengel, und wir haben
    immer so viel bekommen.
   Deshalb haben wir uns immer mehr als eine Band aus Berlin oder
   Barcelona gefühlt als eine italienische Band, unsere Freunde und unsere
   Crew sind dort.
   Natürlich haben wir uns einige italienische Laster bewahrt, wie zum Beispiel
   zu spät zu kommen und wie Tiere zu essen, aber was die Professionalität
   angeht, haben wir uns immer an die deutsche Realität angelehnt, die wir
   sehr schätzen und der wir auch eine gewisse Reife im Umgang mit dieser
   Leidenschaft, die auf jeden Fall ein Job ist, verdanken.

F: Silvio Berlusconi ist mittlerweile gestorben. Was denkt Ihr, wie lange wird
    das ”System Berlusconi” noch weiterleben?

T: Im Jahr 2012 beschlossen wir, eines unserer vielleicht beliebtesten Alben
    zu veröffentlichen, das Album ”Gran Gala“. Es ist ein Konzeptalbum über
   den Berlusconismus, das am Ende des ”Berlusconi-Systems“ (Berlusconi
   war bis zum Jahr 2013 Mitglied der italienischen Abgeordnetenkammer;
   Anmerkung des Verfassers)
herauskam. Der Berlusconismus hat eine
   perverse, korrupte, mafiöse und sexistische Mentalität, die unsere
   Gesellschaft unwiederbringlich zerstört hatte.
   Wir wollten ”Gran Gala” seinerzeit veröffentlichen und mit einer
   schlagwortartigen und oberflächlichen Art auf dieses System aufmerksam
   machen.
   In dieser Zeit behaupteten viele, wir seien mit Berlusconi auch den
   Berlusconismus losgeworden, aber die Tatsachen sagten etwas anderes,
   denn die Mentalität hatte bei allen Wurzeln geschlagen, bei den Rechten
   und auch bei den Linken.
   Es war eine Mentalität, die alles zerstört hat, und gerade jetzt sehen wir ihre
   tragischsten Folgen mit den populistischen Regierungen, die in Italien   
   aufeinander folgen, der Unterwanderung durch die Mafia, dem
   individualistischen und egoistischen Exhibitionismus vieler Menschen, der
   dunklen Freundschaft einiger rechter Parteien mit der Mafia und der
   Unterwanderung durch das putinistische Russland.
   Berlusconi hat ein Erbe hinterlassen, das wir so schnell nicht wieder
   loswerden

F: Wie würdet Ihr die Situation der organisierten Kriminalität in Italien
    beschreiben? Gibt es Unterschiede zwischen Nord- und Süditalien?

T: Ich glaube, dass das Märchen, das die Lega (bis 2017 ”Lega Nord”,
    danach ”
Lega per Salvini Premier” (kurz ”Lega”), Anmerkung des
    Verfassers)
von der Mafia im Süden erzählt, dank Forza Italia, Fratelli d'Italia
    und der Lega selbst (die die ”Ndrangheta” in den Norden gebracht hat),
    nicht den geringsten Sinn ergibt.
    Das Italien unter Berlusconi und nach Berlusconi ist ein bürokratischer
    Ballungsraum, in dem die Mafia jeden Winkel, jede Partei, jede lokale
    Verwaltung und alles andere infiltriert hat.
   Wir denken bei der Mafia immer an Massaker und Bombenanschläge, die
   der tragischste Aspekt sind und von allen gesehen werden, aber die stille
   und gefährliche Mentalität, die von diesen Unterwanderungen ausgeht,
   ruiniert die Moral und die Kultur eines Landes von Grund auf.

F: Wie ist die aktuelle Situation der Geflüchteten in Italien?

T: Die Situation ist sehr ernst, weil es eine populistische Regierung gibt, die
    nicht nur intolerant und rechtsextrem ist, sondern auch sehr inkompetent.
    Die Regierung spielt mit den Ängsten der Menschen.
    Die Regierung flößt den Menschen Angst ein.
    Die Regierung setzt keinen Aufnahmeplan für Flüchtlinge um. Manchmal
   werden sogar Menschen im Meer zurück gelassen. Aus unserer Sicht sind
   das Verbrechen die hier begangen werden, ob indirekt oder direkt, es sind
   und bleiben Verbrechen.
   Eines der letzten Lieder, das wir geschrieben haben ”Muro di Plastica“,
   handelt von einem Menschen, der beim Spielen eines Videospiels, bei dem
   es um den Tod von Geflüchteten auf dem Meer geht, einschläft. Als dieser
   Mensch wieder aufwacht, ist er im Videospiel. Er ist einer der Geflüchteten.
   Das Boot in dem er sitzt droht unterzugehen. Er sieht als Geflüchteter sein  
   schlafendes Ich. Er ruft um Hilfe, aber sein ich hört es nicht.
   Die moralische Ebene der Menschheit ist für mich genau das.

F: Ihr kommt aus Marghera, einem Stadtteil von Venedig auf dem Festland.
  
Venedig hat mittlerweile eine Steuer für Tagestouristen eingeführt. Wird
   sich die Situation in Venedig dadurch verbessern?

T: Ganz und gar nicht!
   Venedig wird von einem nutzlosen, ignoranten und schädlichen
   Bürgermeister sich selbst überlassen.
   In Italien sagen wir, Luigi Brugnaro, der Bürgermeister von Venedig, ist ein
   Berlusconi, der es nicht geschafft hat
   Ein katalanischer Freund von mir war erst gestern in Venedig und erzählte
   mir, dass die Stadt voller Touristen war.
   Das ist das Ergebnis einer Stadtverwaltung, die von einem Unternehmer
   geführt wird, der seit Jahren sein eigenes Ding macht. Die Stadt wird dem
   Verfall überlassen und die Schuld wird auf die vorherigen Bürgermeister und
   deren Verwaltungen geschoben.Luigi Brugnaro tut so, als wäre alles in
   bester Ordnung.
   Seit neun Jahren ist Luigi Brugnaro mittlerweile Bürgermeister.
   Irgendjemand muss ihn also auch gewählt haben.
   Es ist allerdings sinnlos, ihm die Schuld zu geben, wenn wir null Bürgersinn
   und null politisches Bewusstsein haben.

F: Wie sieht die Punkszene in Italien derzeit aus?
  
Gibt es irgendwelche Bands, die du empfehlen kannst?

T: Unserer Meinung nach ist die italienische Punkszene  leider in den frühen
    2000er Jahren gestorben.
   Vielleicht war das der Anstoß für uns, dass wir uns seit Gründung von
   TALCO auf das Ausland konzentriert haben.
   Die italienische Szene war leider sehr oft egoistisch, verschlossen und
   opportunistisch. Es gab und gibt ein großes Neidgefühl unter den Leuten.
   Wenn man es mit großer Mühe geschafft hat, etwas auf die Beine zu stellen,
   einen Freiraum zu schaffen, wird man negativ beäugt. Dies passiert oft von
   Menschen, die harte und ehrliche Arbeit nicht gewohnt sind. Da werden
   gerne Andere beschuldigt, anstatt das eine Reflektion des eigenen Lebens
   und der eigenen Lebensumstände stattfindet.
   Es gibt junge Bands da draußen, die sich verrenken, um die Scherben einer
   toten Szene aufzusammeln, die sich gegenseitig erzählen, wie gut es früher
   war und wie sehr die neue Generation nervt. Viele Menschen erfinden
   Geschichten aus der Vergangenheit, nur um sie besser aussehen zu l
   lassen als sie tatsächlich war.
   Für uns waren und sind Bands wie Punkreas, Persiana Jones und Banda
   Bassotti Bezugspunkte
   Es gibt natürlich fantastische Leute, ich denke da an Enrico (Sänger von Los
   Fastidios, Anmerkung des Verfassers)
dem wir wirklich viel zu verdanken
   haben, aber ich kann nicht gut über die italienische Szene reden. Das tut mir
   sehr leid.

F: Ihr spielt seit einigen Jahren auch viel im Baskenland und in Katalonien.
  
Wie steht Ihr zu den Unabhängigkeitsbestrebungen der beiden Regionen?

T: Als wir anfingen, in diesen Ländern zu spielen, war die politische
   Beteiligung meiner Meinung nach viel stärker ausgeprägt als heute. Ich
   denke, in den letzten Jahren hat sie nicht völlig nachgelassen, aber ich
   fange an, eine Veränderung auf den Straßen zu spüren.
   Ich finde es etwas oberflächlich, Vergleiche zwischen den Ländern anzu-
   stellen, aber ich habe festgestellt, dass in Italien kurz nach dem G8-Gipfel
   alles allmählich zu Ende ging und die Bewegungen weniger Einfluss hatten.
   Ich hoffe, dass der Generationswechsel der politischen Beteiligung keinen
   Abbruch getan hat. Es geht nicht nur darum, für oder gegen etwas zu sein,
   sondern es fehlt jetzt an etwas viel Ernsterem, nämlich an der Beteiligung
   und an dem Wissen, wie man sich informiert.

F: Am 07.02.205 und am 08.02.2025 spielt Ihr zwe Konzerte im SO36 in
    Berlin Kreuzberg. Es gibt zwei verschiedene Setlisten, so weit ich weiß.
    Eine Setliste, die die Songs der ersten 10 Jahre TALCO umfasst und eine
   Setliste die die letzten 10 Jahre von TALCO umfasst. Wie ist es für euch,
   die alten Songs wieder zu spielen?

T: Wir hängen sehr an der Geschichte von TALCO.
    Wir selber können es nur schwer ertragen eine Band zu sehen, die wir
    mögen und die dann live nur Songs ihrer letzten Platte spielt.
    Die Geschichte von TALCO tragen wir alle in uns.
    Es gibt Songs, die wir schon lange nicht mehr gespielt haben, und wir
   sind froh, sie wieder spielen zu können. Wir hoffen, die Leute genießen
   beide Setlists.
   Wir werden alles tun, um das Publikum zufrieden zu stellen!

F: Welches sind die drei wichtigsten TALCO-Songs für euch?

T: Das ist schwierig, weil wir eine Band sind und jeder in der Band seine
    Lieblingslieder hat.
    Die Songs ”La Torre” und ” Danza Dell'Autunno Rosa” sind sicherlich
    Meilensteine für uns.
    Natürlich noch ”Odore della Morte”. Das ist eines unserer ältesten Stücke.
    Es war der erste Song, den das Publikum lautstark zu singen begann.

F: Was wollt ihr als Band noch erreichen? Wo würdet ihr gerne spielen?

T: Seit 2004 ist alles eine Überraschung.
    Wir haben zehn Alben veröffentlicht. Wir haben an vielen Orten gespielt und
    wir können das machen was wir uns früher so sehr gewünscht hatten.
    Es gibt nichts schöneres, als Musik zu machen und live zu spielen.

F: Was würdet Ihr einer jungen Punkband sagen? Was würdet Ihr der Band
    an die Hand geben? Würdet Ihr was empfehlen?


T: Es wäre unangenehm Ratschläge zu geben. Alles was wir erlebt haben,
    waren und sind Erfahrungen. Diese Erfahrungen haben wir gemacht, weil
    wir unseren Weg gegangen sind.
    Die Umstände die einen auf dem Weg begleiten spielen allerdings eine
    wichtige Rolle.
    Wir können die Arroganz derjenigen nicht ausstehen, die sich selbst im
    Spiegel betrachten und ihre angeblichen Talente loben. Es gibt Menschen,
    die viel besser sind als wir und die nicht die gleiche Beachtung erlangen
    konnten wie wir.
   Wir ziehen es vor zu glauben, dass sich harte Arbeit auszahlt und dass
   Glück viel hilft, mehr nicht.
    Den einzigen Rat, den wir geben können ist, eine Umgebung oder gar Welt
    zu schaffen in der Sturheit, Bescheidenheit und Hingabe an eine
   Leidenschaft koexistieren können, ohne äußere Einflüsse, indem wir uns
   einfach dafür entscheiden, das zu tun, was wir lieben, ohne Ideologien,
   ohne Wettbewerb, mit unseren eigenen Stärken und unserer Liebe zur
   Musik.

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